Warum sollte ich mir eine Auszeit nehmen? Es geht mir doch gut!
Genau diese Gedanken beschäftigen mich immer wieder. Ich habe mehr als genug zu tun und weiß eigentlich nicht, wo ich anfangen soll. Manchmal würde ich sogar soweit gehen und sagen, es ist ziemlich stressig und ich fühle mich getrieben. Dennoch nehme ich mir manchmal nachmittags Zeit für meine Kinder, um raus zu gehen oder mit ihnen zu spielen. Ab und an leiste ich mir sogar den Luxus und übe an einem meiner Instrumente, um musikalisch in Form zu bleiben.
ABER…
… ich schaffe es trotzdem nur sehr schwer, mich gedanklich von meinen offenen Aufgaben zu lösen, mich ganz auf den Moment einzulassen und in der Gegenwart zu sein. Echte Entschleunigung sieht anders aus. Ständig spüre ich, was eigentlich jetzt zu tun wäre, wie ein Damoklesschwert über mir baumeln. Um dieses Gefühl langfristig loszuwerden, habe ich mir selbst die Mikro-Aus-Zeit verordnet – einfach gehen, ohne Plan und ohne Ziel! Die Mikro-Aus-Zeit ist aber viel mehr, als einfach ein Spaziergang. Nicht nur für UnternehmerInnen und Führungskräfte.
Mikro-Aus-Zeit, die Erste
Es war der erste Termin, an dem ich die Mikro-Aus-Zeit öffentlich ausgeschrieben habe. Jener Samstag stand nicht unbedingt unter dem besten Stern. Zu Anfang der Woche hatte ich mir bei einer einfachen 45 Minuten Tour aus unerklärlichen Gründen je links und rechts eine mächtige Blase an der Ferse zugezogen. Die Woche war anstrengend und am Vorabend nahm ich an einer Veranstaltung teil, die Nacht war also kurz. Dazu kamen Selbstzweifel und die Unlust wurde immer größer. Einziger Lichtblick, eine Freundin wollte eventuell später dazustoßen und mich ein Stück des Weges begleiten.
Trotz all dieser Vorzeichen stellte den Wecker auf halb acht um schließlich um acht Uhr starten zu können. Einfach für’s Protokoll eine Runde gehen, später anfangen und früher aufhören… Ich wusste, ich brauche wieder mal etwas Zeit für mich. Und ich wusste, dass ich sie in meinen vier Wänden nicht im nötigen Ausmaß finden würde. Aus irgend einem Grund wurde ich um sechs Uhr wach und war schon in richtiger Vorfreude auf den Tag. So startete ich bereits um sieben Uhr los und traf nur die Entscheidung links oder rechts zu gehen. Ich ging links.
Meditieren ist nicht gleich nichts denken!
Ich hatte meinen inneren Schweinehund überwunden, meine Komfortzone verlassen. Relativ schnell war mir klar, dass es heute bei keiner Alibiaktion bleiben würde. Wenige Minuten an der frischen Luft lösten einen regelrecht euphorischen Zustand aus. Die schmerzenden Füße, die wenigen Stunden Schlaf, die Unlust, alles war vergessen. Meine Gedanken waren überwiegend positiv gestimmt und der Körper folgte. Mit jedem Kilometer dachte ich daran, dass ich den heutigen Tag eigentlich auch als erste und einzige Probe für die bevorstehende Coaching-Wanderwoche in Kreta nutzen könnte.
Im Verlauf des Tages stellten sich auch jene Phänomene ein, die ich schon aus Kreta kenne, und weswegen ich den 4. Mai kaum erwarten kann. Zum Einen denkt man, „jetzt muss ich die Zeit nutzen und endlich runter kommen“ oder „ich soll nicht an die Arbeit denken“. Genau das Gegenteil ist aber der wahre Sinn dahinter. Alle möglichen (verdrängten) Gedanken nehmen sich jetzt den Raum und die Zeit, die sie brauchen. Manche begleiten dich stundenlang, andere ziehen vorbei wie Wolken am Himmel.
Dieser Rhytmus, das Mantra, das Gehen, ist wie ein Tagtraum. Das Gehirn verarbeitet, wozu es im Alltag nicht kommt. Alles passiert sehr intuitiv, genau wie der Weg und die Geschwindigkeit. Auch das gemeinsame Gehen trägt zur Entschleunigung bei. Stilles nebeneinandergehen wird plötzlich durch ein Wort unterbrochen und ein Gespräch entwickelt sich. Und ebenso wie es begonnen hat, ganz ungezwungen, endet es auch wieder. Gehen als Form der Meditation ist in Wirklichkeit höchst produktive Zeit.
Was als Samstagvormittagsspaziergang begann, wurde schließlich eine sieben Stunden Tour mit 27,5 km Wegstrecke (Höhnhart – St. Johann – Maria Schmolln – Höhnhart). Zwar war ich nach meiner Rückkehr ausgepowert, doch in einer tatsächlich positiven Weise. Ich war stolz und hatte das Gefühl doch belastbar, ausdauernd und energiegeladen zu sein. Die einzige Frage, die nun für die nächste Mikro-Aus-Zeit bleibt, ist: links oder rechts?